Der See
Sie blickt in die Tiefe des Gewässers, eine Stimme scheint sie zu rufen, doch sie vermag sich nicht zu bewegen. Verworrene Gefühle suchen sie heim, sie ist zu keinen klaren Gedanken fähig. Nur Schmerzen herrschen in ihr. Sie steht vor dem Nichts, hat alles verloren. Fühlt sich einsam, allein, er hat sie verlassen. Wegen einer Anderen, wegen einer Jüngeren. In ihr ist eine Welt zerbrochen. Sie hat alles für ihn aufgegeben, hätte alles für ihn getan, doch er wandte sich von ihr ab.
Sie weiß nicht weiter, will nicht mehr, möchte sich nur fallen lassen, nichts mehr fühlen und spüren, nicht mehr denken, einfach nur Ruhe und Frieden finden. Für sie hat alles die Bedeutung verloren, alles erscheint ihr sinnlos.
Der Wind spielt mit ihren Haaren. Es ist fast so, als streichelt er ihr sanft über den Kopf. Sie gibt sich nur der Natur um sich herum hin, sie öffnet sich ihr. Die Nacht bricht ein, leuchtende Sterne spiegeln sich in den Wellen. Sie hebt den Kopf, sieht zum Firmament empor. Tausende kleine funkelnde Lichter, so strahlend wie Diamanten auf schwarz samtigen Hintergrund. Sie geben ihr das Gefühl klein zu sein in der Unendlichkeit des Lebens. Sie geben ihr aber auch neuen Mut, denn sie zeigen ihr, dass es noch mehr gibt, dass sie nur einen kleinen Teil allen Lebens erfasst hat.
Die rufende Stimme des Sees verhallt, sie hat ihre Macht verloren, die Frau hat den Bann gebrochen. Sie mag sich im Moment zwar einsam fühlen, aber tief in ihrem Innern hat sie eine Stärke entdeckt, von der sie noch nichts wusste.
Einmal blickt sie noch über das Wasser, hebt stumm die Hand, wie zum Abschied, dann dreht sie sich um und geht mit zielstrebigen Schritten den Lichtern der Stadt entgegen.
