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Blicke
- oder auch: wo bist du -

Ein Raum voller Leute, die sich nicht kennen, laute Musik aus den Boxen an der Wand. Zigarettenqualm brennt in den Augen. Gesichter ohne Namen, ich fühle mich alleine inmitten dieser Menschenmenge. Plötzlich habe ich das Gefühl angestarrt zu werden. Ich drehe mich um, doch ich vermag niemanden auszumachen, dessen Blick auf mich ruht. Ein Schauer läuft meinen Rücken entlang, die feinen Härchen auf meinen Armen richten sich auf. Ich kann dieses Gefühl nicht verdrängen.

Meine Augen durchwandern gehetzt den Raum. Nervös zünde ich mir eine Zigarette an, bestelle mir einen Drink und führe das Glas an meine Lippen, nehmen einen kleinen Schluck. Das Gefühl wird immer intensiver, ich kann nicht sagen, ob es jetzt ein angenehmes Gefühl, oder eher ein unangenehmes ist.

Wer beobachtet mich und aus welchem Grund? Will er oder sie mich kennenlernen oder ist es ein Bekannter? Ich kann an nichts anderes mehr denken, nur an die Augen, die mich wahrnehmen, die ich aber nicht erblicke. Obwohl ich mich hilflos fühle, bin ich neugierig. Ich sehne mich danach, in diese Augen zu sehen, die mich nicht loslassen wollen.

Eigentlich wollte ich nicht lange bleiben, doch ich bleibe stehen, ich fühle mich wie verzaubert, als wenn jemand einen Bann über mich gesprochen hätte.

Es wird später, der Raum wird leerer. Noch immer kann ich kein bestimmtes Gesicht ausmachen. Ich werde angesprochen, doch ich reagieren nicht. Die Stimme nimmt mich nicht so gefangen wie die unsichtbaren Blicke. Was soll ich machen, wie soll ich reagieren, wenn er mich anspricht? Ich weiß inzwischen, dass es nur ein Mann sein kann. Warum ich das weiß, kann ich jedoch nicht sagen, ich fühle es einfach.
Mein Körper ist angespannt, in meinem Kopf beginnen sich Bilder zu bilden, voller Verlangen und Erotik. Ich kann mich einfach nicht dagegen wehren. Alles erscheint mir so surreal. Ich fühle mich gefangen und das nur, weil ich Blicke auf meinen Körper spüre. Doch ich will mehr. Ich möchte nicht nur angesehen werden, er soll mich auch genauso intensive berühren. Nicht nur unsichtbare Augen sollen mich verzaubern, auch Hände, seine Hände.

Schweißperlen bilden sich auf meiner Haut, ich kann nur noch stoßweise atmen. Alles um mich herum ist nur noch schemenhaft zu erkennen. Meine Brust hebt und senkt sich immer schneller, ich brauche eine Abkühlung, schnell kippe ich den Inhalt meines Glases herunter. Langsam bewege ich mich zur Theke, ich bestelle mir einen neuen Drink.

Dann plötzlich fühle ich mich allein, verlassen, kann keine Blicke mehr auf mir spüren. Ängstlich schaue ich mich um. Wo ist er geblieben? Tränen schimmern in meinen Augen. Habe ich ihn verloren, bevor ich ihn überhaupt kennenlernen konnte? Ich muss hier raus, muss meinen Kopf frei bekommen. Was ging hier vor, habe ich mir das alles nur eingebildet, hat mein Verstand mir einen Streich gespielt, oder eher mein Körper? Ich fühle nur noch Verwirrung und Leere in mir. Schnell bahne ich mir den Weg zum Ausgang. Ich wusste, ich hatte etwas Besonderes gefunden und im selben Moment wieder verloren. Einsam ging ich nach Hause und dachte die ganze Nacht über die Geschehnisse nach.

Eine Woche später war ich wieder in dieser Bar. Viele fremde Gesichter, laute Musik und viel Zigarettenqualm. Alles wie gehabt, doch ich konnte keine Blicke spüren. An diesem Abend erfuhr ich, dass sich letzte Woche ein Mann nach mir erkundigt hat. Er sagte, er habe mich gesehen und sofort Liebe empfunden, doch er konnte mich nicht ansprechen. Es war ihm, als ob er unter einem Bann gestanden hätte. Erst als er mich nicht mehr sehen konnte, fragte er nach mir. Doch ich war unauffindbar.

Seitdem komme ich jeden Abend hierher zurück, in der Hoffnung ihn wieder zu spüren....

© Morgan MacAilis